DER FATALE IRRTUM
Vor langer, langer Zeit lebte auf
einem Schloß eine wunderschöne Prinzessin. Sie hatte langes feuerrotes Haar, welches
durch seinen Glanz alle Blicke auf sich zog. Die Liebenswürdigkeit der Prinzessin war so
groß, dass der König ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Doch dieses Wesen veränderte
sich, wenn es Nacht wurde. Sobald die Turmuhr Mitternacht schlug, zog sich die Prinzessin
einen schwarzen Mantel an und begab sich zum Friedhof. Dort hielt sich am Grabe ihrer
Mutter eine schwarze Messe ab. Den Grund dafür kannte nur die Prinzessin allein. Jahre
zuvor, als sie noch ein kleines Mädchen war, geschah ein furchtbares Unglück, woran die
Prinzessin glaubt Schuld zu sein. Ihre geliebte Mutter stürzte vom Balkon des Innenhofes,
nachdem die Prinzessin mit ihr Streit hatte. Alle, auch der König, versuchten ihr die
Schuldgefühle auszureden, hatten damit aber wenig Erfolg. So suchte die Prinzessin Rat
bei einem Minister.
Dieser war ein enger Freund des Königs.
Was aber niemand ahnen konnte, er war mit dem Teufel im Bunde. So riet er der Prinzessin,
sich jede Nacht am Grabe ihrer Mutter einzufinden, um diese Messen abzuhalten. Um sich
auch wirklich sicher zu sein, dass die Prinzessin seinen Rat befolgte, stand er jede Nacht
beim alten Friedhofstor und beobachtete sie bei ihrem Ritual. Sein einziges Ziel war es,
die Prinzessin so weit zu verunsichern, dass sie als unzurechnungsfähig gelten würde,
und er als enger Freund des Königs seinen Nutzen daraus ziehen konnte. Immerhin hatte der
König ihm anvertraut, sollte der Prinzessin etwas zustoßen, würde er das Schloß erben.
An diesem Gedanken freute er sich jede Nacht hinter seinem Eisentor. Doch diese Freude
währte nicht lange, denn die Prinzessin war in ein heiratsfähiges Alter gekommen, und
der König schickte seine Boten aus, um diese Nachricht zu verkünden. Einen Prinzen aus
dem Nachbarreich erreicht ebenfalls diese Nachricht und er machte sich auf den Weg zum
König. Um in das Reich des Königs zu gelangen, musste er eine holprige Brücke
überqueren, welche kurz vor dem Friedhof endete. Er hatte sich mit dem König verabredet,
um um die Hand seiner Tochter zu werben. Als er jedoch am Friedhof vorbeikam, war es schon
Mitternacht und er überraschte den Minister am Tor, wie er gerade vor sich hinmurmelte:
"Zum Glück gehört mir das Schloß bald alleine und die Prinzessin wird im Kerker
landen. Den niemand weiß, dass nur der Kuss eines Jünglings mitten im Ritual die
Prinzessin erlösen kann." Der Königssohn konnte sich dieses Gemurmel nicht
erklären und ritt weiter. Plötzlich erblickte er die Prinzessin. Sofort wusste er über
das Geheimnis Bescheid. So wartete der Prinz, bis der Minister verschwunden war, ging zum
Grab und küsste die Prinzessin, die daraufhin in Ohnmacht fiel. Er trug sie auf
Händen zum Schloss, wo am Tag darauf die Hochzeit stattfand. Die Glocken läuteten so
laut, dass sie im ganzen Land zu hören waren. Der Minister musste in rot glühenden
Schuhen tanzen, bis er tot umfiel. |