STARTSEITESPÜREN und SPUREN

Vernissage

Schülergalerie29. April 2002

Ich begrüße Euch alle herzlich zu einer etwas anderen Ausstellung als sonst immer. Keine Arbeiten von SchülerInnen sind zu sehen, sondern die Ergebnisse einer Malwerkstatt für Kinder von 5 bis 12 Jahren.

Diese Malwerkstatt wurde zweimal angeboten und dauerte je 2 ½ Stunden. Bevor ich auf die Vorgangsweise bei der Malwerkstatt zu sprechen komme, möchte ich noch ein paar allgemeine Gedanken zum Malen mit Kindern vorbringen.

Alle Kinder beginnen Spuren zu setzen. Wenn ein Kind zum ersten mal mit einem Stift über das weiße Blatt Papier fährt und eine Linie hervorbringt, ist das wie Zauberei für das Kind. „Ich kann das, ich kann zaubern, ich bin da"

Allmählich kann es mit seinem eigenen Willen die Linie formen, es kann eigene Zeichen bilden. „Selber gemacht" Und es ist enorm stolz auf sich.

Auf kaum einem anderen Gebiet ist dieses Erlebnis etwas eigenständig zu erschaffen so groß und unmittelbar, weil es kaum Einschränkungen gibt. Man kann Linien ziehen wie und wohin man will, ganze Welten können am Blatt erschaffen werden. Beim Bauen muss sich das Kind nach den Bausteinen und der Schwerkraft richten, beim Legen von Legematerial kann es nur vorgefertigtes Material wählen, beim Werken muss es sich an den Widerstand des Materials anpassen. Beim Malen und Zeichnen gibt es die Möglichkeit eigene ganz persönliche Zeichen zu setzen und sich damit sehr persönlich auszudrücken.

Unsere Aufgabe wäre es daher, diese besondere Anlage des Kindes, nämlich das starke Bedürfnis Zeichen zu setzen und sich auszudrücken, zu ermöglichen und zu fördern. Das kann nur geschehen, wenn es seine eigenen Zeichen entwickeln darf und wenn sie auch entsprechend gewürdigt werden. Es kann nicht zielführend sein, wenn von einer Erwachsenenästhetik ausgehend das Kind zum Nachahmen von vorgefertigten Bildern angehalten wird. Wenn wir den Kindern Schablonen z.B. von Vögeln, oder Blumen, u .dgl. vorgeben oder ihnen vorschreiben, wie ein Schneemann auszusehen hat (kann es nicht auch Schneeungeheuer, Schneehühner und Schneeschweine geben?), tun wir dem Kind Gewalt an. Es wird verunsichert und gibt allmählich die Verantwortung für sogen. „schöne" Bilder an die Erwachsenen ab. Es wird z.B. von der Betreuerin im Kindergarten dem Kind indirekt mitgeteilt: das, was du in der Freispielphase machst, ist o.k. (hier gibt es vielleicht noch dazu nur DinA5-Abfallpapier in Weiß), aber wenn wir etwas Ordentliches, Herzeigbares machen wollen, müssen wir schon die Vogelschablone verwenden, denn du kannst das ja sonst nicht so gut! ( - hier wird dann das teurere Tonpapier verwendet.) Als ob Kinder nicht andauernd Vögel zeichneten!

Nun gut, sie sehen vielleicht nicht wie diese ausdruckslosen Vorgaben aus, sondern möglicherweise wie fliegende Wildschweine oder Ungeheuer, aber dafür erzählt das Kind über das eigene Zeichen „Vogel" viel von sich und es kann sich selbst spüren.

Aus meiner Sicht ist es unbedingt nötig, die Kinder ihre eigenen Vögel zeichnen zu lassen, ja ihre eigenen Vögel zu lassen, weil sie nur so eine Sicherheit im Gestalten erlangen. Nur wenn ihre eigenen Zeichen für die Dinge wachsen konnten, werden sie selbstbewusst werden, weil sie sich selbst zum Ausdruck bringen konnten. In dem Zusammenhang möchte ich auf die therapeutische Wirkung freien Gestaltens hinweisen, Das, was man den Kleinkindern abgewöhnt, muss 20 Jahre später in der Maltherapie wieder mühsam entwickelt werden.

Nun mögen vielleicht einige einwenden, das hört sich ja alles schön an, aber ich habe andere Erfahrungen gemacht: wenn ich dem Kind vorschlage, gestalte einen Vogel, zeichnet es husch, pfusch irgendeinen Vogel und schon ist es fertig. Das mag schon stimmen. Aber das hängt mit dem zusammen, dass Kinder aus dem momentanen Erleben heraus am ausdrucksstärksten gestalten. Die Aufgabe der Betreuerin ist es daher, den Kindern ein Thema möglichst erlebnisorientiert und anschaulich nahe zu bringen (z.B. über eine Geschichte, über einen Zoobesuch, über das Pflanzen von Gewächsen,...). Das Malen und Zeichnen wird so zum Mittel, das Erlebnis zum Ausdruck zu bringen, persönlich dazu Stellung zu beziehen. Es wird nicht zum Mittel ein schönes Produkt ohne Bezug zur Erlebniswelt des Kindes herzustellen. Kinder bis ca. 10 Jahren denken hauptsächlich emotional-bildhaft und drücken sich auch bevorzugt emotional aus. Erst dann beginnt das konstruktiv Bildhafte.

Ich möchte nun auf unsere Vorgangsweise bei dieser Malwerkstatt eingehen.

Das Thema war SPÜREN ODER SPUREN : Wollen wir Kinder und Erwachsene, die ihre Ausdrucksfähigkeit entwickeln konnten oder solche, die Vorgaben brav nachahmen können?

Zu Beginn machten wir eine Bildbetrachtung, von denen ich Euch nun zwei zeigen möchte. Wir erzählten den Kindern, dass das Bild ein Geheimnis ist, weil man auf den ersten Blick nicht viel erkennen kann. Man kann es nach langem Schauen und Fragen entschlüsseln. Der Maler hat hier eine Art Geheimsprache verwendet, über die eigentlich nur er vollständig Auskunft geben kann. Mein Mann und ich waren nun die Experten, an die Fragen gestellt werden sollten.

Die Kinder waren sehr interessiert dabei und sahen Ungeheuer, Rüben, Karotten, Autos, usw.

Das zweite Bild ist die Sprache eines anderen Malers, der wiederum andere Formen verwendet.

Auch in der gesprochenen Sprache gibt es das, dass sich etwas wie ein Geheimnis anhört. Dazu habe ich einen französischen Text vorgelesen, den die Kinder aufmerksam verfolgt haben.

Der Arbeitsauftrag lautete schließlich: Malt ein Bild, das in eurer Geheimsprache gemalt ist, bei dem die Erwachsenen erst fragen müssen, um es zu verstehen. Auf diese Weise wollten wir das Besondere der eigenen Bildsprache betonen. Es gab keine Vorgaben, wir baten die Kinder nur, das ganze Blatt zu bemalen.

Zum Abschluss stellten die Kinder sich gegenseitig die Bilder vor –sie waren jeweils die Experten, die Fragen beantworteten. Teilweise wurden sogar Titel gefunden, die sehr fantasievoll waren.

 

Ausschnitt aus Film

Abschließend möchte ich euch dazu ermutigen, die Ausdrucksfähigkeit der Kinder zu fördern und zu respektieren, und eben nicht lehrerhaft dem Kind zeigen wollen, wie man beispielsweise 08/15-Vögel macht.

Mag. Gertraud Ranegger - Strempfl